Interview mit Gudrun Chable – eine «ältere» Stimme zum Thema Partizipation

Die Netzwerktagung kantonale Aktionsprogramme (KAP) vom 7. November war dem Thema Partizipation in der Gesundheitsförderung gewidmet. Wer könnte dazu besser Auskunft geben als eine Vertreterin einer der beiden Zielgruppen der KAP? Lesen Sie das Interview mit Frau Gudrun Chable, Seniorin aus Lausanne, die Mitwirkung und Gesundheitsförderung im Alter «im Blut» hat.

Ein Interview mit Gudrun Chable (GC), engagierte Seniorin, geführt von Claudia Kessler (CK)

CK: Mme Chable, bevor wir in unser Thema Partizipation einsteigen, würde ich Sie bitten, sich den Leserinnen und Lesern kurz vorzustellen. Vielleicht die unhöflichste Frage zuerst: Wie alt sind Sie? Woher kommen Sie?

GC: Ich wurde vor 81 Jahren in Leipzig, in der damaligen DDR, geboren. Dort machte ich meine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester, folgte aber 1957 meinen Eltern nach Westdeutschland. Als junge Frau, 1962, kam ich in die Schweiz, nach Lausanne. Hier lernte ich meinen Mann kennen und «blieb hängen». Später kamen zwei Töchter dazu. Ich arbeitete aber immer auf meinem Beruf weiter, oft in Nachtschicht, damit ich tagsüber für die Kinder da sein konnte. Zudem ist mein Lebensweg eng mit der Migros verbunden. Vom einfachen Mitglied des Migros Genossenschafterinnenbunds, heute Forum elle, stieg ich zur Präsidentin auf. Später wurde ich Präsidentin des Genossenschaftsrats und war zudem, bis zu meinem 70. Lebensjahr, im Verwaltungsrat der Migros Waadt. Nach unserer Pensionierung habe ich zusammen mit meinem Mann für das Migros Kulturprozent auch Reisegruppen für Seniorinnen und Senioren geleitet. Vor sieben Jahren verstarb mein Mann. Das enge Verhältnis und die Unterstützung meiner Töchter und meine positive Lebenseinstellung helfen mir, weiterhin aktiv, bewegt und engagiert mein Leben zu leben.

CK: Darf ich fragen: Wie geht es Ihnen gesundheitlich? Machen Sie etwas, um Ihre Gesundheit zu fördern?

GC: Ich bin dankbar, sagen zu können: mir geht es gesundheitlich gut – ich bin mit meiner Gesundheit zufrieden. Ich habe mich schon immer viel bewegt und freue mich, dass das unverändert möglich ist: Zweimal pro Woche gehe ich ins Fitnessstudio, ich wandere oft in den Walliser Bergen, manchmal mit den Schneeschuhen, und ich fahre Ski. Ich bewege mich regelmässig und bewusst – das gehört einfach dazu! Manchmal nehme ich auch an den Ausflügen von Vaud-Rando teil. Sie haben ein abwechslungsreiches Angebot in verschiedenen Schwierigkeitsstufen und ich schätze die Begegnung mit anderen Teilnehmenden. Bei der Ernährung achte ich auch auf eine gesunde Kost mit biologischem Gemüse und Früchten. Ich esse heute weniger Fleisch und mehr Fisch. Aber ich mag da auch nicht zu weit gehen. Ich achte zum Beispiel nicht mehr wie früher auf meine Linie. Ich trinke täglich ein Glas Rotwein zum Mittagessen. Das ist mit meinem Hausarzt abgesprochen und bei uns in der Romandie ja so üblich. Mit meinem alternden Körper lebe ich gut – «der kleine Schwimmring» um den Bauch gehört jetzt halt zu mir…

Ich halte mich auch im Kopf fit. Seit circa 20 Jahren gebe ich Kurse für Gedächtnistraining. Angefangen hat das im Rahmen der Migros Clubschule. Nun leite ich noch einmal im Monat einen Kurs im Maison de la Femme in Lausanne für eine Gruppe von zehn älteren Damen. Da gibt es mittlerweile Teilnehmende, die jünger sind als ich… Die dauernde Suche nach neuen Übungen, die ich mir vor allem in französischen Magazinen zusammensuche und anpasse, hält mich natürlich selbst wach im Kopf.

CK: Sie haben an der KAP-Netzwerktagung als Vertreterin der Senioren und Seniorinnen teilgenommen. Wenn ich Ihnen zuhöre wird klar: Sie gehören zur Gruppe der älteren Menschen, die sich auf Augenhöhe als Akteure in der Gesundheitsförderung im Alter einbringen und aktiv an der Gestaltung eines gesunden Alters in ihrer Region mitwirken!

GC: Klar, das ist mir wichtig. Ich kann mich selbst motivieren und brauche eigentlich keine Unterstützung oder Angebote zur Gesundheitsförderung im Alter. Die gesellschaftliche Mitwirkung fördert aber ganz bestimmt meine Gesundheit. Ich sprach bereits von den Reiseleitungen und vom Gedächtnistraining. Daneben engagiere ich mich bei Senior Lab. Mich interessieren die Themen, die dort mit uns Seniorinnen und Senioren besprochen werden. Fragen, wie zum Beispiel: Wie kann der öffentliche Verkehr seniorengerechter werden? Was bedeutet Wohnen im Alter? Zwei oder dreimal im Jahr werden wir als Soundingboard eingeladen. Ich gehe immer, denn ich finde die Diskussionen spannend und lerne viel dabei. Es gibt mir eine Zufriedenheit, denn ich fühle, dass unsere Stimme gehört wird und wir etwas mitbewegen können. Das Senior Lab hat mich ja auch an die KAP-Netzwerktagung gebracht. Der Ansatz wurde dort an einem Marktstand vorgestellt.

CK: Sie haben die KAP- Netzwerktagung erwähnt. Der Untertitel der Tagung lautete: «Partizipation – verhandelbar ist nur das Wie»! Mich interessiert natürlich, welche Antwort Sie auf das «Wie?» haben. Was brauchen Seniorinnen und Senioren, um sich aktiv in der Gesundheitsförderung im Alter einbringen zu können? Was hilft? Wo sehen Sie Potential, welches noch stärker ausgeschöpft werden könnte?

GC: Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Im Alter darf man sich nach Schicksalsschlägen nicht gehen lassen. Man muss sich für die Dinge des Alltags interessieren. Nach dem Tod meines Mannes, zum Beispiel, half mir mein existierender Freundeskreis im Maison de la Femme sehr. Die Frauen ermutigten mich, mit der Kursleitung unbedingt weiter zu machen und die Präsidentschaft der «Association des Amis de la Fondation Madeleine Moret/Maison de la Femme» nicht niederzulegen. Das trug mich über die schwierigste Zeit. Meine Aktivitäten stimulieren mich und machen mir Freude.

Vielleicht könnte man den Seniorinnen und Senioren anraten, sich im Alter frühzeitig zu engagieren. Das ist eine Investition, die sich später auch für einen selbst «auszahlen» kann.
Einen Rat hätte ich zudem an die Akteure der Gesundheitsförderung. Wenn sie die Partizipation der Zielgruppe der älteren Menschen fördern möchten, dann ist es erstens wichtig, von Anfang an die Erwartungen an die älteren Menschen zu klären und sie zweitens auf ihre Rolle vorzubereiten. Das lief zum Beispiel an der Tagung nicht optimal. Da die vorgesehenen Senior/innen ausfielen, musste ich ad hoc einspringen. Ich fühlte mich etwas überrumpelt und konnte vielleicht auch deshalb nicht soviel beitragen. Gute Partizipation braucht eine sorgfältige Planung. Ich bin aber froh, durfte ich dabei sein. Ich habe den Austausch mit den jüngeren Menschen genossen und wieder viel gelernt.

CK: Am Schluss möchte ich noch auf meine erste Frage zurückkommen. Ich habe Sie vorhin als erstes auf Ihr Alter angesprochen… Wie fühlt sich das für ältere Menschen an, oft als erstes auf das Alter angesprochen zu werden?

GC: Ich habe kein Problem, wenn ich als «Seniorin» angesprochen werde. Ich stehe zu meinem Alter und habe den Sprung in das 4. Lebensalter gut geschafft. Aber ich fühle mich ehrlich gesagt noch nicht wie 81 – eher wie 70…. Was mir wichtig ist, ist, dass man uns Seniorinnen und Senioren ernst nimmt. Zwar lohnt es sich unbedingt, ältere Menschen am Umbruch zum Pensionierungsalter für ein gesundes Verhalten und ein Engagement im Alter zu gewinnen. Wir sollten aber nicht vergessen, dass es vor allem hochaltrige Menschen und Menschen, denen es nicht so gut geht wie mir, sind, die im Alter Unterstützung seitens der Akteure der Gesundheitsförderung brauchen. Ich selbst geniesse meine Zeit und meine Autonomie intensiv und mache auch etwas dafür, dass es – hoffentlich noch lange – so bleiben kann!

CK: Frau Chable – das Gespräch mit Ihnen war für mich ein Geschenk. Sie werden mir ein Vorbild für gutes Altern sein, wenn ich dann selbst bald einmal «Seniorin» sein werde. Ich danke Ihnen ganz herzlich für diesen Austausch und Ihre Zeit!

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