Bern, 22. Februar 2017. Zum vierten Mal hat das Schweizerische Gesundheitsobservatorium Obsan einen Bericht über die psychische Gesundheit der Schweizer Bevölkerung veröffentlicht. Dabei zeigt sich, dass bestimmte Schutzfaktoren - wie etwa ein unterstützendes Umfeld oder das Gefühl der Selbstbestimmung - viel zu einer guten und stabilen psychischen Gesundheit beitragen.
Der Obsan-Bericht gibt Aufschluss über die Entwicklung der psychischen Gesundheit der Schweizer Bevölkerung. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass die psychische Gesundheit der Schweizer Bevölkerung zwischen 2007 und 2012 relativ stabil geblieben ist. Rund 60 % der Schweizerinnen und Schweizer ab 15 Jahren fühlen sich voller Energie und Vitalität. Männer, ältere Personen und Menschen mit einem hohen Bildungsniveau berichten häufiger von diesem positiven Zustand als Frauen, Junge und Personen mit tieferem Bildungsniveau. Zudem lassen sich klare regionale Unterschiede feststellen: In der Deutschschweiz fühlen sich mehr Personen fit und vital als in der Westschweiz und im Tessin.
Selbstbestimmung und Unterstützung durch das Umfeld
Ob sich Menschen fit und vital fühlen, hängt von bestimmten zentralen Faktoren ab. Zum Beispiel von der Kontrollüberzeugung, d.h. der Ansicht, sein Leben mehrheitlich selbstbestimmt gestalten zu können. Rund 80 % der Schweizer Bevölkerung sind davon (eher) überzeugt. 20 % der Schweizer Bevölkerung verfügen über eine tiefe Kontrollüberzeugung und empfinden ihr Leben als mehrheitlich fremdbestimmt. Interessant ist dabei, dass Männer in allen Altersgruppen eine höhere Kontrollüberzeugung aufweisen als Frauen. Bei beiden Geschlechtern nimmt die Überzeugung, selbstbestimmt zu leben, mit steigendem Alter zu. Ebenfalls zentral für eine langfristig psychisch gesunde Bevölkerung ist die soziale Unterstützung des Individuums durch sein Umfeld. Knapp 40 % der Schweizer Bevölkerung geben an, eine starke soziale Unterstützung durch das Umfeld zu erfahren. Bei über 12 % ist die erlebte Unterstützung jedoch gering. Mit zunehmendem Alter wie auch niedrigerem Bildungsabschluss ist der Anteil derjenigen Personen, die nur geringe soziale Unterstützung von ihrem Umfeld erleben, höher.
Erhöhte Inanspruchnahme von Therapien
Bei den neu gesprochenen IV-Renten aufgrund psychischer Erkrankungen konnte eine Stabilisierung festgestellt werden. Seit 2008 hat sich diese Zahl kaum verändert. Bei den nicht-assistierten Suiziden zeigt sich ein Rückgang mit anschliessender Stabilisierung. Der Anteil an Männern ist dort drei Mal höher als bei Frauen. Parallel dazu hat die Inanspruchnahme von psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlungen in den letzten zehn Jahren jedoch stetig zugenommen und lag 2015 bei 447'000 Personen. Dieses Ergebnis ist nur auf den ersten Blick negativ zu werten. Denn es ist ein Hinweis darauf, dass das Wissen über psychische Erkrankungen in der breiten Bevölkerung und bei Fachpersonen zugenommen hat und so psychische Beeinträchtigungen besser und schneller erkannt werden. Das heisst auch, dass die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen möglicherweise abgenommen hat und dass die Hemmnisse, sich in psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung zu begeben, abgenommen haben. Bei der Inanspruchnahme von Therapien zeichnet sich übrigens nach wie vor ein grosser Unterschied zwischen den Geschlechtern ab: So lassen sich Frauen häufiger wegen psychischer Probleme behandeln. Sie berichten gleichzeitig auch häufiger als Männer von einer eingeschränkten psychischen Gesundheit und von weniger Schutz- und dafür mehr Risikofaktoren. Sie fühlen sich deshalb auch seltener «voller Energie» und «Vitalität».
Klarer Handlungsbedarf
Obwohl der Obsan-Bericht zeigt, dass die psychische Gesundheit der Schweizer Bevölkerung stabil geblieben ist, deckt er gleichwohl Bereiche auf, innerhalb derer ein klarer Handlungsbedarf besteht:
Einsamkeit
Etwas mehr als ein Drittel der Befragten gaben an, sich manchmal bis sehr häufig einsam zu fühlen. Das sind leicht mehr Personen als in den Jahren zuvor (6 Prozentpunkte mehr) jedoch ähnlich viele wie 1997 (36 %). Dabei fühlen sich Frauen deutlich häufiger einsam als Männer (42 % vs. 30 %).
Depressivität
Wird gezielt nach Depression gefragt, berichten rund 30 % der Bevölkerung von Depressionssymptomen. Rund 2 % der befragten Frauen und Männer berichten über (eher) schwere Depressivität. Es kann davon ausgegangen werden, dass es sich hier mit hoher Wahrscheinlichkeit um klinisch relevante Depressionen handelt. Leichte Depressivität ist bei Frauen häufiger (25 %) als bei Männern (20 %). Mit zunehmendem Alter und mit höherer Bildung nimmt die erlebte Depressivität ab.
Hohe volkswirtschaftliche Kosten
Psychische Störungen verursachen hohe volkswirtschaftliche Kosten. Schätzungen der Kosten für die Schweiz liegen bei über 11 Milliarden Franken pro Jahr, wobei indirekte Kosten (z.B. durch Arbeitsabsenzen und Frühpensionierungen) von grosser Bedeutung sind. Auffallend ist die starke Kostenzunahme bei der ambulanten Spitalpsychiatrie (+ 88 %) und den ambulanten psychiatrischen Praxen (+ 64 %).
Psychische Gesundheit über die gesamte Lebensspanne nimmt einen wichtigen Platz bei den Aktivitäten von Gesundheitsförderung Schweiz ein. Künftig wird die Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz zusätzlich zu ihrem Engagement im betrieblichen Gesundheitsmanagement kantonale Aktionsprogramme unterstützen, die sich gezielt der psychischen Gesundheit der Schweizer Bevölkerung widmen. Der Fokus liegt dabei neu auf der Zielgruppe Kinder und Jugendliche sowie ältere Menschen. Gesundheitsförderung Schweiz wird auch in Zukunft den Fokus auf die Primärprävention legen und über die verschiedenen Aspekte der psychischen Gesundheit informieren, die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisieren und finanzielle Unterstützung für Projekte leisten.
Definitionen
Psychische Gesundheit umfasst Aspekte wie persönliches Wohlbefinden, Lebenszufriedenheit, Selbstbewusstsein, Beziehungsfähigkeit, die Fähigkeit die normalen Lebensbelastungen zu bewältigen, produktiv zu arbeiten und im Stande zu sein etwas zu seiner Gemeinschaft beizutragen. Sie ist kein Zustand, sondern ein vielschichtiger, dynamischer Prozess, der neben individuellen Aspekten auch massgeblich von äusseren Faktoren beeinflusst wird.
Dagegen beeinträchtigen psychische Störungen die Funktionsfähigkeit des menschlichen Erlebens und Verhaltens. Sie schränken einen Menschen in seinem Alltag ein und können sich auf emotionaler, kognitiver, interpersonaler und körperlicher Ebene sowie auf sein Verhalten auswirken. Psychische Störungen sind weit verbreitet und zählen zu den häufigsten und am stärksten einschränkenden Krankheiten überhaupt. Trotz allem werden psychische Erkrankungen oft nicht erkannt, heruntergespielt und in ihrer individuellen, gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Bedeutung unterschätzt.
Quelle: Obsan-Bericht 2016
Zum vollständigen OBSAN-Bericht 2016:
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Gesundheitsförderung Schweiz
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